понедельник, 28 марта 2011 г.

Der Alltag als Ereignis Zum Photoprojekt Gogolevska 32 (I)

Die Lage eines Menschen, der hilflos ist, der unfähig ist zu handeln, im vorliegenden Fall unfähig ist zu schreiben, insofern er zu schreiben verpflichtet ist. Die Handlung eines Menschen, der, hilflos und handlungsunfähig, handelt.
Samuel Beckett und Georges Duthuit, Drei Dialoge

Durch die offene Tür sieht man die Kargheit der Lebensweise der Hausbewohner. Risse ziehen sich durch die nackten Wände, der Boden ist uneben, vom Plafond fällt der Stuck und legt die Etagendecke frei, kalte Gemeinschaftsküchen dienen nebenbei als Badezimmer, die elementarsten Annehmlichkeiten fehlen. Das Leben in einer solchen Wohnung ist von äußerster Offenheit, und nicht selten verfügt jedes Zimmer über einen nur ihm eigenen süßlichen Geruch, der die Lebensgeschichte seines Bewohners erzählt. Eine wachsende Unordnung, das Chaos droht durch alle Ritzen ins Haus zu dringen und es mit Krimskrams zu überschwemmen, es mit Papierfetzen, die vor Jahren jemand liegenlassen hat, bevor er in die Arbeit ging, mit wunderlich in Reih und Glied hängenden Deckeln von Kopftöpfen, mit Medikamenten und mit Spielsachen endgültig niederzureißen. Es hat leicht den Anschein, daß ein Mensch in diesen Räumen nicht jünger, nicht sauberer, nicht einfacher als das Haus selbst sei, als ob der Wohnende seine eigene Einrichtung verkörpere, seine Unannehmlichkeit, das stickige Durcheinander von Gebrauchsgegenständen oder aber seine sterile Kargheit. Bei allen Interviews, die in diesem Haus gemacht wurden, umgibt die Bewohner ein Areal der Zerstörung wie ein Bilderrahmen, wie ein aufdringlicher Vermittler zwischen dem Redenden und dem Zuhörenden. Die Zustände werden auch zum Gesprächsthema, zu einer Landschaft, die alle Beziehungen zwischen den Leuten umfaßt, ihr Selbstbild, die „schwimmenden Signifikanten“ des Vergangenen und die unbestimmte Zukunft.
Die Photoserie „Gogolevska 32“ entstand, von längeren Pausen unterbrochen, über einen Zeitraum von drei Jahren in Zusammenarbeit mit den Bewohnern des im Zentrum von Kiev befindlichen havarierten Hauses. Mit Hilfe teilweise unscharfer Schwarzweißdarstellungen nahmen mit der Zeit und nach vielen Treffen und Aufnahmen einige Stimmen, einige individuelle Handschriften Gestalt an und begannen, von sich Zeugnis abzulegen.
Die Mehrheit der Stimmen gehört im Haus wohnenden Frauen. Die männlichen Bewohner des Hauses mieden die Treffen mit mir und nahmen nur gelegentlich am Photoprojekt teil. Jene von ihnen, mit denen ich zu sprechen Gelegenheit hatte, neigten dazu, den der Zerstörung anheimgegebenen Raum des Hauses als ein Konfliktfeld voller Gefahren und eine Zone des Überlebenskampfes zu sehen und versuchten unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte das havarierte Haus zu verlassen - was im Lauf der drei Jahre auch beiden jungen Helden der Photoserie gelang, jedoch keiner einzigen Heldin.
Allerdings weiß ich von den Hausbewohnern, daß einige Frauen auszogen, nachdem das Haus für havariert erklärt wurde, das heißt vor mehr als zehn Jahren. Für die übrigen war ein Umzug nicht so wichtig, oder er wurde aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters oder unzureichender Mittel praktisch unmöglich, oder elementarere Aufgaben wie die Kindererziehung oder die Ausbildung hatten Vorrang.

Diese Photographie wurde 2008 aufgenommen. Andrij, der zu diesem Zeitpunkt schon aus dem Haus in der Gogolevska ausgezogen war, teilte sich in einer Gemeinschaftswohnung zwei Zimmer mit seiner schwerkranken Mutter.
Photo- und Videokameras haßte er nach eigenen Worten so sehr, daß ein einziger Blick ins Objektiv bei ihm Wutanfälle auslöste. Nichtsdestoweniger wollte er photographiert werden:
„Wie soll ich mich hinstellen? Ich kann überhaupt nicht stehen. Ich kann Sie nicht einmal ruhig ansehen. Das Photographieren schmerzt mich, der Kopf beginnt weh zu tun. Ich habe nicht einmal Kindheitsphotos, nur ein leeres Album. Nichts, was auch nur an ein einziges Lebensjahr erinnerte. Kein einziges Kindheitsphoto. Ich photographiere auch selbst nicht und vermeide es sogar dann, wenn ich eigentlich sollte. Die Hand tut mir weh und greift von selbst nach dem Messer, wenn ich Fernsehleute sehe, ihre Kameras. Wenn Journalisten kommen, fliehe ich aus dem Haus. Ich finde es schrecklich, mir vorzustellen, was aus dem wird, was sie aufnehmen. (...) Ich werde eine rauchen und auf das Wasser schauen, in dieses Stiegenhaus hinunter. Sie müssen so stehen, daß ich Sie nicht sehe, daß ich nichts machen kann. Auf dem Photo wird die Silhouette eines rauchenden Menschen zu sehen sein. Daß dieser Mensch ich bin, werde nur ich wissen. Und ich werde es bald vergessen.“

Andrijs Mutter, Svetlana, verläßt ihre Wohnung krankheitsbedingt seit einigen Jahren nicht mehr. Sowohl Andrij als auch Svetlana zwangen sich gleichsam, am Photoprojekt teilzunehmen, sie sprachen mit mir trotz ihres Hasses auf die Photographie, ihrer Müdigkeit, ihrer Schwäche, ihres Schmerzes. Wenn ich Andrij und seine Mutter interviewen wollte, entglitt das Gesprächsthema immer. Mit der Zeit schien mir, daß die Teilnahme am Photoprojekt für sie ein Schachzug war, mit dem sie den unmittelbaren Blick auf die endlosen Schwierigkeiten ihres Alltagslebens vermieden. Beide nahmen sie eine seltsame Metaposition von Betrachtern ein, die sie vor dem chirurgischen Schmerz des unmittelbaren Blickes auf die eigene, in Worte zu fassende Geschichte bewahrte. Als ich an der Serie arbeitete, wollte ich, daß die Photographien nicht irgendeine Meinung ergäben, sondern daß sie aus der privilegierten Position, aus dem Anschein des Referentiellen, verdrängt würden in die Sphäre der Vergeblichkeit und der Hilflosigkeit. Die einzelnen Bilder sollten zu Formeln der Verbindung zwischen den Helden der Aufnahmen, ihrer eigenen Wahrnehmung ihres Alltagslebens und dem unbekannten Betrachter werden.

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